"Sie, die Bushaltestelle brennt."
- daszimmer10
- 16. Apr.
- 5 Min. Lesezeit

Seid gegrüsst Ihr netten Menschen
Endlich finde ich die Zeit, aus dem Nähkästchen einer Klassenlehrerin zu berichten. Somit beginne ich diesen Eintrag so, wie jeweils meinen Unterricht, nämlich mit den Worten:
Ich möchte Euch eine Geschichte erzählen
Da meine Schäfchen der S3b fürs anstehende Klassenlager noch etwas Geld sammeln mussten, durften sie in Halbklassen zu einem Arbeitseinsatz gehen, bei dem sie Grüngut von Nichtgrüngut trennen sollten. Dazu mussten sie ein wenig reisen und früh morgens den Bus nehmen und zweimal umsteigen. Aufgrund der Aufsichts- und Sorgfaltspflicht, die eine Lehrperson hat, war geplant, dass die Schäfchen von einer Begleitperson begleitet werden sollten. Betonung auf sollten.
Es gibt Tage, an denen man nicht weiss, ob man jetzt lachen oder weinen soll. Ob man hysterisch lachend auf dem Boden sitzen, die Arme gen Himmel ausstrecken und aus Leibeskräften "Wiesoooo?!" schreien soll, oder ob man sich hinsetzen, und in schallendes Gelächter ausbrechen soll. Jener war einer dieser Tage. (Spoiler: Nach starken nervlichen Reizungen habe ich mich letztendlich fürs Lachen entschieden; zynisch, bitter und mit einem nervösen Zucken im linken Augenlid - aber immerhin.)
Der Tag begann vielversprechend, da ich keine Absenzmeldungen seitens Eltern erhalten hatte und auch die Begleitperson - nennen wir sie Bob - nichts gemeldet hatte, dass ggf. ein Schäfchen fehlen würde. Entspannt konnte ich den Unterricht mit der S3a fortsetzen. Zumindest bis dann mein Handy (natürlich stummgeschaltet) einen Anruf anzeigte. Eines meiner Schäfchen rief an. Mich ruft nie eines meiner Schäfchen an. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Ich nahm den verheissungsvollen Anruf entgegen und wurde darin bestätigt, dass der Anruf nichts Gutes bedeuten konnte.
Das Schäfchen teilte mir leicht belustigt mit, dass die Begleitperson - Bob - nicht aufgetaucht sei. Von mir gabs da eine Pause, ein Schnauben, ein Seufzen, ein ungläubiges "Was?!". Er sei auch unterwegs nirgends zugestiegen und da er die Bustickets hatte, fuhren sie alle schwarz. Das Schäfchen fragte mich, ob sie am Bahnhof auf ihn warten sollten. Ich fragte, ob sie die Begleitperson - Bob - mal angerufen hätten. Ja, aber der gehe nicht ran. So versuchte auch ich die Begleitperson - Bob - telefonisch zu erreichen - auch ohne Erfolg. So schrieb ich ihn an, wo er sei. Die Schäfchen waren in dieser Zeit umgestiegen und schwarz weitergefahren, schliesslich wollten sie pünktlich bei ihrem Arbeitseinsatz erscheinen. Dann rief mich Bob zurück. Er habe verschlafen. Er fahre mit dem Auto hinterher, sei aber noch nicht unterwegs. Er fahre gleich los. Er treffe die Schäfchen an der Endhaltestelle. Er würde dann das Auto dort stehen lassen und mit den Schäfchen mit den ÖV zurück zur Schule fahren. Schliesslich wurde ich benachrichtigt, dass er die Schäfchen getroffen habe und nun beim Arbeitseinsatz sei. Ich konnte durchatmen. Die Welt war wieder im Gleichgewicht - vorerst.
Der Unterricht ging weiter. Die S3a verliess das gute Zimmer 10, um Zeit bei anderen Lehrpersonen abzusitzen und etwas zu lernen, während sich die andere Hälfte der S3b im guten Zimmer 10 aufhielt und ihre Köpfe mit Wissen füllte - oder so. Natürlich waren bereits einige über das Nichterscheinen Bobs informiert. Diese verdammten WhatsApp-Chats.
Schliesslich erhielt ich eine Nachricht vom Organisator des Arbeitseinsatzes, dass alles wunderbar geklappt habe. Ich atmete durch.
Ehe ich jedoch zurückschreiben konnte, erhielt ich einen Anruf eines anderen Schäfchens. Die Worte, die auf "Grüezi" folgten, waren:
"Sie, die Bushaltestelle brennt."
Ich starrte auf mein Handy. Was? Bitte was? WTAF?! "Die BUSHALTESTELLE BRENNT?!" Gelächter aus der Klasse, die das mitangehört hatte. Staunende und ungläubige Gesichter - wohl etwa so wie meines. Gedanklich spielte ich den Bericht auf TeleM1 durch sowie Blick-Reporter. Meine Schäfchen, die Interviews geben. Feuerwehr und Krankenwagen im Hintergrund. Die Einleitung des Artikels im Blick: Nichts Böses anhnend ging die Hälfte der Klasse S3b zu einem Arbeitseinsatz. Das Wetter war sonnig und auf ihrer Seite. Doch dann...."
Das Schäfchen schilderte mir die Situation: Die Bushaltestelle stünde wohl in Flammen, weshalb sie aufgefordet worden seien, den Bus auf der Hauptstrasse zu verlassen. Sie wüssten nun nicht, wo ihr Anschlussbus fahren würde. Auf meine Frage, was denn Bob sage, erhielt ich die ernüchternde Antwort: "Bob ist nicht da. Er ist mit dem Auto weggefahren - aber wir haben die Bustickets und fahren nicht schwarz." Ah.... Dann ist ja alles gut. Ich bekam die Tür nicht zu! Wie bitte?! Die BEGLEITPERSON, war also zurück zur Schule gefahren. Mit dem Auto. Allein. Ohne Schäfchen. Die waren sich selbst überlassen. Ich kam nicht umhin, mich zu fragen, weshalb man Schäfchen, die man betreut, auch betreuen sollte. War ich in einer neuen und schlechten Folge von THE TWILIGHT ZONE?! Wo war Rod Serling?! "Es sollte ein ganz normaler Schultag im Leben dieser Lehrerin werden, doch sie konnte nicht ahnen, dass sie ihre Schäfchen zu einem Arbeitseinsatz der besonderen Art geschickt hatte. Einem Arbeitseinsatz in der TWILIGHT ZONE."
Später erfuhr ich, dass nicht etwa die Bushaltestelle brannte, sondern eine Wohnung oberhalb einer Pizzeria (ag.ch 2025). FAKE NEWS!
Dennoch, der Bus konnte dort nicht halten, weshalb die Passagiere, die umsteigen mussten, auf der Hauptstrasse einige Meter davor aussteigen mussten. Da standen sie also meine Schäfchen, irgendwo am Rand einer Hauptstrasse, nicht wissend, wo ihr Anschlussbus halten würde, was sie tun sollten und fühlten sich einfach "lost".
Ich rief also wieder die Begleitperson - Bob - an und wieder: keine Antwort. Hueresiech!
Also schrieb ich ihn wieder an, schilderte ihm innerlich kochend vor Wut kurz die Situation und wies ihn an, unverzüglich zurückzufahren und sich der Situation anzunehmen.
Schliesslich rief mich eines der Schäfchen an. Sie hätten den Anschlussbus gefunden und seien nun auf dem Heimweg. Bob würde nicht mehr gebraucht.
Immerhin konnten die Schäfchen darüber lachen. Diejenigen, die gestrandet waren und diejenigen, die im guten Zimmer 10 Zeuge der Gespräche wurden.
Ich konnte nicht mehr lachen. Ich trank Tee. Und verabreichte mir Baldrian intravenös. <- scherz beiseite.
Meine Schäfchen fanden schliesslich den Weg zurück - auch ohne die nicht begleitende Belgeitperson - Bob. Am Nachmittag erschienen sie alle zum Unterricht und berichteten natürlich, was sie erlebt hatten. Schliesslich konnte auch ich lachen - auch wenn gewisse Fragen nicht geklärt waren...
Worauf die PH Dich nicht vorbereitet
Oftmals höre ich von Studis, dass sich zu wenig auf den Berufsalltag vorbereitet fühlen. Ganz ehrlich, auf so etwas kann Dich niemand vorbereiten. Eine Verketterung von Ereignissen, die schliesslich in solch einer Situation enden, kann sich niemand ausdenken. Wir können von Glück reden, ist nichts weiter passiert.
Du suchst einen Beruf mit Abwechslung? Werde Lehrperson. In kaum einem anderen Beruf hat man derart viel Abwechslung zwischen verschiedenen Emotionen. In diesem Fall wechselten sich Zorn, Sorge, Empörung, Erstaunen, Belustigung und WTAF in kurzen Abstände ab.

Quellen und Querverweise
Medienbericht über den Brand: https://www.ag.ch/de/aktuell/medien/medienmitteilungen-kapo?mmk=niederwil-brand-rechtzeitig-geloescht-ffb861f4-8705-4291-9d2f-d02e5e7d6d49_de
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